Freitag, 4. Juni 2021
Alles wiederholt sich
Meine Nachbarin brachte mir ein Gedicht, geschrieben von einer Verwandten. Diese, Jahrgang 1860, hatte zum Ende des Ersten Weltkrieges die große Pandemie der Spanischen Grippe miterlebt, der Abertausende weltweit zum Opfer fielen. Drei Jahre vor ihrem Tod, im Alter von 93 Jahren, hat sie diese Erinnerung rührend in Reime gefasst.



Die Grippe ist ein böses Weib.
Ich hab gesagt bleib mir vom Leib.
Doch listig und mit Tücken
fällt sie uns in den Rücken.
Sie fragt nicht ob sie angenehm
und macht sich sogar sehr bequem.
Sie quält die Menschen Tag und Nacht,
was ihr wohl gar Vergnügen macht.
Hat kein Gefühl in ihrem Herzen
für andrer Menschen Weh und Schmerzen.
?Just? sagt der Hexe, jetzt ist es Schluss
Zu deinem großen Überdruss.
Solch ein Besuch ist nicht begehrt,
den fast das ganze Land verwehrt.
Ich sag dir jetzt in aller Stille,
zieh ab, es ist des Volkes Wille.
Zieh hin durch die dunkle Gassen,
lass deine Spuren rasch verblassen.
Zieh hin in weite fremde Zonen,
dahin wo keine Menschen wohnen.
Frau Grippe ist total verbissen,
weil ihr auch schlägt jetzt das Gewissen.
Sie rüstet für die weite Reise
Nach hergebrachter alter Weise
Es spricht der Herr: dein Regiment
hat plötzlich jetzt ein jähes End.
In Hoffnung, dass der Frühling bald
Kehrt wieder in den deutschen Wald,
der Ozon spendet uns in Füllen,
was besser ist als Grippe-Pillen.


Gereimt von Frau Marie Wimmer
geb.1860, gest. 1956

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